Auch nach 2000 Jahren christlicher Glaubens- und Theologiegeschichte mangelt es vielen noch an einem grundlegenden Vertrauen in die barmherzige Liebe Gottes. Glaube, so scheint es, wird von den Frommen als Fürwahrhalten von Lehrsätzen verstanden. Diese Wahrheit wird in sich nicht hinterfragt. Sie ist objektiv gegeben, gewissermaßen vom Himmel gefallen. Deshalb scheint es auch aus dieser Sicht auch zu reichen, diese Wahrheitssätze in Katechismen zu sammeln und auswendig zu lernen. Sie zu verstehen ist dann nicht relevant. Das Evangelium zu verkünden ebenso wenig. Allein die korrekte Wiedergabe der Lehrmeinung zählt. Wer das nicht glaubt: ἀνάθημα ἔστω (anathema esto) – der sei verflucht!
Das Anathem – es steht am Ende vieler lehramtlicher Definitionen, die Konzilien hervorgebracht haben. Das Anathem zieht die Grenze zwischen dem, was zum Glauben gehört, und dem, was nicht zum Glauben gehört. Durch das Anathem wird der christliche Glaube definiert: Wer das nicht glaubt, der sei verflucht und ausgeschlossen.
Das ἀνάθημα ἔστω (anathema esto) beschließt auch die zweite Lesung des 9. Sonntags im Jahreskreis C, die den Beginn des paulinischen Briefes an die Galater beinhaltet. Wie es sich für Briefe (damals und heute) gehört, beginnt das Schreiben mit einer Anrede. Dabei stellt Paulus sich als Absender vor. Er legt dabei Wert darauf, dass er seinen apostolischen Auftrag nicht menschlicher Vermittlung verdankt. Er – und damit das, was er sagt und tut, – kann sich auf einen Auftrag des Auferstandenen selbst berufen.
Paulus schreibt aber nicht allein. Er verfasst seinen Brief zusammen mit denen, die bei ihm sind. Er bezeichnete sie als „Brüder“. Das ist in sich schon bemerkenswert. Denn diese Vorgehensweise finden wir oft in den Paulusbriefen. Offenkundig war Paulus weit davon entfernt, in allwissender Manier (er ist doch von Christus selbst berufen worden) zu handeln. Seine Briefe sind das Ergebnis von Teamarbeit. Bevor er antwortet, bespricht er sich mit denen, die bei ihm sind. So bewahrt er sich selbst vor Einseitigkeiten und falschen Perspektiven. Er stellt sich der Kritik. Und erst in diesem Reifungsprozess entsteht das Schreiben. Was wäre gewonnen, wenn diejenigen, die heute das Wort Gottes verkünden, sich dieses Verfahren zu eigen machten!
Die Lesung lässt die Gruß an die Galater als Empfänger des Schreiben aus, die in den folgenden Versen formuliert wird:
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus, der sich selbst für unsere Sünden hingegeben hat, um uns aus der gegenwärtigen bösen Welt zu befreien, nach dem Willen unseres Gottes und Vaters. Ihm sei Ehre in alle Ewigkeit. Amen. (Galater 1,3-5)
Diese Verse beinhalten eine Kurzzusammenfassung des paulinischen Evangeliums: Die Sünde hat ihre Macht verloren, weil Christus selbst am Kreuz wie ein Sünder starb. Weil er trotzdem von den Toten auferstand, wird deutlich, dass selbst die Sünde nicht von Gott trennt. Der Mensch kann falsch handeln und muss für sein Handeln auch vor Gott Rechenschaft ablegen. Aber er ist durch fehlerhaftes Handeln nicht von Gott getrennt und wird es nicht sein.
Diese Erinnerung an das von ihm verkündete Evangelium ist in den Gemeinden Galatiens offenkundig notwendig. Die Verse der Lesung vom 9. Sonntag im Jahreskreis C zeigen, dass andere Verkünder in Galatien tätig waren, die die Botschaft des Paulus desavouiert haben. Sie verwirren die Gemeinde mit einer anderen Botschaft. Der weitere Fortgang des Galaterbriefes zeigt, dass diese Verkünder offenkundig die Notwendigkeit der Beschneidung und die Befolgung der Thora gepredigt haben. Das spiegelt nicht nur die frühchristliche Konfliktlinie zwischen Juden- und Heidenchristen wieder. Es ist auch von erheblicher theologischer Bedeutung: Kann man vor Gott nur dann bestehen, wenn man die Gebote der Thora befolgt? Oder rechtfertigt allein schon der Glaube an den, der wie ein Sünder starb und trotzdem von den Toten auferstand?
Für Paulus ist die Antwort klar: Der Glaube allein genügt. Das hat zwar Konsequenzen für das Leben des Christen, denn er soll durch sein Leben den Glauben an den Auferstandenen bezeugen. Aber sein Heil ist nicht von dem Befolgen von Weisungen abhängig.
Wie tiefgreifend die galatische Krise gewesen sein muss, ist an dem Anathem zu erkennen, das Paulus im Lesungstext gleich zweimal ausspricht: Wer etwas anderes als sein Evangelium, das er seiner Aussage nach selbst von dem Auferstandenen empfangen hat, verkündet:
ἀνάθημα ἔστω (anathema esto) – der sei verflucht! (Galater 1,8.9)
Damit ist das Anathem in der christlichen Welt. Die Trennlinie zwischen dem wahren und dem falschen Glauben ist gezogen. Allerdings geht es hier noch nicht um das unkritische Fürwahrhalten von Lehr- oder Katechismussätzen. Das paulinische Evangelium von der Unwirksamkeit der Sünde hat ja Konsequenzen. Sie ermöglichen ein Leben ohne Angst vor der ewigen Verdammnis – ein Leben in dieser Welt! Es ist dieses Leben, das gelingen kann und soll – trotz der Sünde, die Paulus ja nicht leugnet. Wer etwas anderes verkündet, legt den Menschen falsche Lasten auf und macht ihnen das Leben schwer!
Glaube – das ist in dieser Perspektive nicht das Fürwahrhalten von abstrakten Sätzen. Glauben – das ist Ermöglichung von Leben. Glaube – das ist eine von innen wachsende Einsicht, ein Urvertrauen in den Lebensspender. Eine Einsicht und ein Urvertrauen, das auch den heidnischen Hauptmann von Kafarnaum bewogen haben mag, Jesus im Evangelium vom 9. Sonntag im Jahreskreis C um die Heilung seines Dieners zu bitten:
Sprich nur ein Wort, so muss mein Diener gesund werden. (Lukas 7,7)
Ein Wort soll genügen. Aber Jesus spricht kein Heilungswort. Er ist selbst erstaunt über diesen Fremden, der doch gar nicht zu seinem Volk gehört und spricht zu den Umstehenden:
Nicht einmal in Israel habe ich solchen Glauben gefunden. (Lukas 7,9)
Weil der Hauptmann geglaubt hat, braucht es keines besonderen Wortes Jesu mehr. Der Glaube allein genügt! Wer will den Kindern Gottes da das Leben durch Verbote und Weisungen schwer machen?
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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